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Integration agiler Strukturen im Unternehmen

Integration agiler Strukturen im Unternehmen

05.05.2021 – Gemeinsam haben wir Philipp Diebold von Bagilstein und Martin Ellmer von agilecouch.net für den SIGEL Blog zum Thema agiles Arbeiten interviewt – welche Vorteile gibt es, für welche Firmen ist es interessant, und was ist dabei zu beachten?

Agile Transformation und kultureller Wandel

Philipp Diebold ist Unternehmensberater, Agilitätsforscher, Geschäftsführer und der Motor der Firma Bagilstein, die Unternehmen auf dem Weg zur Agilität unterstützt. Auch Martin Ellmer, Geschäftsführer von agilecouch.net, berät zu dem Thema, will Menschen nach individuellen Stärken und Neigungen dazu bringen, den höchstmöglichen Wertbeitrag in ihrer Arbeit zu erbringen. Erfahren Sie in diesem Interview, ob Agilität für Ihr Unternehmen geeignet ist und wie Sie die agile Transformation erfolgreich durchführen können.

Für welche Unternehmen ist agiles Arbeiten sinnvoll und geeignet?
Agile Couch Martin Ellmer

Für welche Unternehmen ist agiles Arbeiten sinnvoll und geeignet?

Martin Ellmer: Agiles Arbeiten ist für jeden geeignet. Ob es ein Team ist, ein kleines Startup oder theoretisch ein Konzern, ich würde es bei niemandem ausschließen.
Philipp Diebold antwortet auf die Frage:
Agilitätsforscher Philipp Diebold

Philipp Diebold antwortet auf die Frage:

"Ich gehe sogar einen Schritt weiter. Warum nicht auch für Einzelpersonen? Es kann auch der Solo-Selbstständige sein. Als ganzheitlicher Ansatz hilft Agilität jedem."

Welche Vorteile haben Unternehmen, die das agile Konzept verfolgen gegenüber klassischen Unternehmen, die das nicht tun?

Philipp Diebold: Die Frage ist eher, welche Vorteile können Unternehmen haben, nicht, welche haben sie. Der entscheidende Punkt ist, Agilität ist kein Selbstzweck. Man sollte nicht agil werden, weil man agil werden will oder weil es hip ist oder weil es jeder macht – sondern wenn man merkt, dass man ein Problem hat. Wenn im Projekt die Transparenz fehlt, niemand weiß, wer gerade woran arbeitet, Mitarbeiter demotiviert sind, die Qualität im Projekt nicht passt, es zu lange dauert, Dinge zu erarbeiten, Feedback vom Kunden fehlt. All das lässt sich zum Beispiel mit Agilität lösen. Theoretisch gibt es viele Ziele, die man angehen kann.

Martin Ellmer: Agilität bringt den Vorteil von Freiheit. Wenn Freiheit im übertragenen Sinne gleichgesetzt wird mit Selbstverwirklichung und Selbstbestimmtheit, ist das der Vorteil von Agilität. In der Managementlehre gibt es zwei Grundkonzepte, nämlich Einfluss oder Verantwortung zu haben. Verantwortung ist immer blöd, ist gleichgesetzt mit Schuld. Einfluss haben ist immer toll, wenn man Einfluss nicht mit diesem negativen Sentiment behaftet, sondern mit dem Recht, mit der Kompetenz, etwas verändern zu können und zu dürfen oder etwas positiv zu beeinflussen, und das ist ein Vorteil von Agilität. Also alle zu befähigen, Herr ihres Schicksals zu sein und damit auch des unternehmerischen Schicksals. So kommt man raus aus dem Konzept der Verantwortung und der Schuld und begibt sich hin zu nutzenstiftendem und wertschöpfendem Schaffen.

"Man sollte nicht agil werden, weil man agil werden will oder weil es hip ist oder weil es jeder macht – sondern wenn man merkt, dass man ein Problem hat."

Sind agile Strukturen mit traditionellen Linienorganisationen vereinbar?

Martin Ellmer: Agil selbst bringt nichts. Es gibt diese Koexistenz unterschiedlichster Organisationsdesigns. Die Linienorganisation hat ihre Daseinsberechtigung, also Linie nicht im Sinne von hierarchisch und führungskulturgetrieben, sondern funktional, mit klaren Verantwortlichkeiten und Aufgabenbereichen. Und es gibt eine Daseinsberechtigung für agil. Wichtig ist, dass das agile Arbeiten von allen akzeptiert wird, als Grundkonzept eines Miteinanders. Bevor man sagt „ihr macht jetzt agil“ und sich daraus Vorteile verspricht, müssen vorhandene Strukturen aufgebrochen werden. Für Agilität steht eine Denkweise mit Transparenz, mit Offenheit, mit gegenseitigem Vertrauen. Da kann es zum Clash kommen mit der klassischen Linienstruktur, mit ihrer Kultur und Denkweise. Da ist der spannenden Punkt, zu schauen wie gehe ich damit wirklich um, denn diese kulturellen Probleme werden von vielen Leuten unterschätzt.
 

Wie muss sich das Unternehmen aufstellen, um den kulturellen Wandel und die agile Transformation erfolgreich durchzuführen?

Martin Ellmer: Es gilt, Anker zu schaffen, die Verknüpfung aus Erfahrung und positiver Erinnerung, sodass das Team das Konzept dahinter erfahren kann und den eigenen Nutzen erkennt. In Bezug auf die Maslowsche Bedürfnispyramide geht es um die Ich-Bedürfnisse und die Selbstverwirklichung. Also weg vom „9 to 5“ und „it´s just a job“ hin zu „ich kann mich dort einbringen, also es ist im Einklang mit meinen persönlichen Zielen und mit meiner Lebenssituation“ – sozusagen „Work-Life-Balance reloaded“.

Philipp Diebold: Ich sage zum CEO: „du als Manager, du musst dabei sein, du musst es vorleben und die Leute erstmal dazu bekommen, dass sie es wirklich verstanden haben.“ Das ist der Kern, dass Agilität vorgelebt wird, denn da denken sehr viele noch klassisch. Wenn ein Manager vom Team Agilität verlangt, Transparenz verspricht, aber dir dann nicht verrät, wie die aktuellen Zahlen aussehen, kann das nicht funktionieren.

Martin Ellmer: Man sagt ja immer, wenn du Dinge machst, mach sie ganz oder gar nicht. Es ist gar nicht so kompliziert. Die Konzepte dahinter sind ganz einfach, also entscheide dich und mache es bedingungslos. Das ist Agilität, also reagieren auf Veränderungen wider aller Umstände, sich treu sein, Grundkonzepte verankern, die Dinge leben, und zwar bedingungslos.

Wie führt man eine vertrauensschaffende Du-Kultur im Unternehmen ein?

Martin Ellmer: Dafür gibt es keine goldene Regel. Eine Möglichkeit ist: Das Management sollte untereinander entscheiden, ob sie sich duzen und dann erklärt es sich auch untereinander warum. Es ist ja nicht, weil es cool ist, sondern weil es Nähe bringt, weil man sich leichter öffnet, weil man alle auf eine Ebene setzt und weil man vielleicht ein bisschen mehr Zusammenhalt schafft. Dann geht das Management geschlossen vor die Belegschaft und sagt, dass es für sich entschieden hat, dass sie sich alle duzen. Sie stellen die Frage, ob sich alle im Unternehmen duzen wollen und erklärt die Motivation dahinter. Wenn ein Mitarbeiter sagt, „ich möchte das nicht“, aus egal welchem Grund, wird es nicht gemacht. Dann bleibt es weiterhin freiwillig. Und so schaffe ich einen Rahmen, der Veränderung ermöglicht.
 

Agilität hilft, auf Veränderungen zu reagieren. Inwieweit hilft Agilität in der aktuellen Situation mit der andauernden Pandemie und ihren Folgen?

Martin Ellmer: Ich gebe jedem die Kompetenz und das Recht und die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Ich kann sagen: hey Leute, wir stehen vor einer Krise, wie wir sie noch nie hatten. Hat jemand Ideen? Ich schaffe also ein Forum für Austausch und Innovation. Agilität bedeutet: fertig ist besser als perfekt. Agilität heißt: machen ist besser als gucken. Das ist Agilität, also ich habe die grobe Idee, ich muss was Neues machen und ich bin mutig genug, ich probiere das einfach mal aus. Viele Unternehmen hatten beispielsweise Probleme, zu entscheiden, aus dem Homeoffice zu arbeiten. Ein Agiles Team macht es einfach, probiert es aus. Sollte es nicht funktionieren, ändern wir etwas. Die Agilität kann helfen, Krisen zu überwinden, denn Agilität ist dafür gemacht. Reagiere auf Veränderungen, ziehe Nutzen raus, blicke nach vorne, mache es positiv, think big. Du kannst ja nicht verlieren, du kannst nur lernen und es besser machen.

Vielen Dank für das Interview.